· 

Kritik - Ku'damm 56 / Autorin: Jenny Wagner

Ku'damm 56

 

Frankfurt

06.01.2024
Alte Oper

 

Autorin: Jenny Wagner

Bilder: Jana Diener

 

Zwischen Tradition und Emanzipation

 

Ku'damm 56 - Das Musical basiert auf dem gleichnamigen Fernsehfilm. Es ist ein Musical von Annette Hees und den Komponisten und Textern Peter Plate (ehemals Rosenstolz) und Ulf Leo Sommer. Es wurde am 28. November 2021 in Berlin im Theater des Westens (TdW) uraufgeführt, wo es bis Februar 2023 spielte. Im Rahmen einer Tour kehrt es von November 2023 bis Februar 2024 auf die Bühne zurück und spielt in München, Frankfurt und schlussendlich erneut in Berlin im TdW. 

Das Musical wurde 2022 in sieben Kategorien für den Deutschen Musical Theater Preis nominiert und erhielt vier Auszeichnungen, darunter Bestes Musical und Beste Komposition.

 

Ku'damm 56 erzählt die Geschichte der drei Schwestern Helga, Eva und Monika Schöllack, welche im Berlin der 1950er von ihrer alleinerziehenden Mutter Caterina alle zeitnah verheiratet werden sollen. Da ihr Vater nicht aus dem zweiten Weltkrieg zurück kam, leitet  die Mutter der Drei die namhafte und traditionsbewusste Tanzschule Schöllack allein.

Die älteste der drei Schwestern, Helga, heiratet in wenigen Tagen den Staatsanwalt Wolfgang. Die mittlere Schwester, Eva, arbeitet bei einem berühmten Nervenarzt, welchem sie sehr zugetan ist und ihre Mutter auf eine gute Partie hoffen lässt. Monika als die jüngste der Geschwistern ist hingegen ihrer Mutter nach ein hoffnungsloser Fall und kann nichts. Eine Heirat scheint in weiter Ferne, zumal sie gerade von der Hauswirtschaftsschule geflogen ist. Die Hochzeit ihrer Schwester Helga war daher nicht der einzige Grund nach Hause zurückzukehren. Auf der Hochzeit lernt Monika Joachim Franck, den Sohn eines Fabrikbesitzers, kennen und möchte sich gut präsentieren. Joachim ist jedoch betrunken und leicht reizbar, sodass er sich aufgrund einer scheinbar kleinen Beleidigung, bei ihm jedoch tief sitzenderen Wunde, an ihr vergeht. Monikas Mutter versucht die Situation zunächst für eine Verkupplung ihrer Tochter zu nutzen, wird allerdings von Franck Senior nur auf ihre "schamlose Dirne" von Tochter hingewiesen.

Aus der Not heraus lässt sie Monika in der Tanzschule unterrichten, da ihr Geschäftspartner Assmann sie davon als gute Idee überzeugen kann. Doch auch hier ist Monika nicht gerade ein Naturtalent und traut sich aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen kaum etwas zu. Assmann bestärkt sie jedoch. Allerdings findet Monika mehr Gefallen an moderneren Musikstilen wie Rock'n Roll und lässt sich vom Tanzschulsänger Freddy mit in das Clubleben Westberlins entführen. Hier lässt sich Monika treiben und findet nicht nur Freude am Tanz, sondern auch an Freddy. Beide beginnen eine Liebelei. Ihre Mutter ist jedoch immer noch davon überzeugt auch ihre jüngste Tochter unter die Haube zu bringen. Immerhin ist Helga mittlerweile vorzeigbare Ehe- und Hausfrau und Eva hat vom deutlich älteren Arzt Dr. Jürgen Fassbender nunmehr einen Heiratsantrag erhalten. Monika hingegen will von der Ehe so gar nichts wissen. Selbst als Joachim Franck versucht aus seiner Reue heraus die Dinge mit Monika wieder gerade zu rücken, hält Monika an ihrem lockeren Engagement mit dem Schürzenjäger Freddy fest. 

Mittlerweile sind in der Ehe von Helga und Wolfgang einige Probleme aufgetaucht. Er arbeitet immer mehr und sie wird immer unzufriedener und fühlt sich nicht begehrt. Es stellt sich heraus, dass Wolfgang homosexuell ist und er beginnt deshalb eine Therapie bei Dr. Fassbender und hofft auf Heilung. Letztlich findet er diese jedoch nicht und gesteht Helga die Wahrheit, welche sich zunächst davor verschließt.

Eva beginnt eine Affäre mit Rudi, einem Maurer aus Ost-Berlin, hält gleichzeitig jedoch an dem Verlöbnis mit Dr. Fassbender fest.

Monika hat herausgefunden, dass sie von Freddy schwanger ist, welcher ihr eine Abtreibung nahe legt. Daraufhin hadert Monika mit ihrer Entscheidung wie es für sie weitergehen soll und mit wem. Warum kann's nicht einfach mal einfach sein, ich frag' mich, was wäre wenn?

 

Das Musical  

Die Musik ist retro, aber poppig modern und mitreißend eingängig. Zwischen schmetternden Hymnen schlägt das Stück auch nachdenkliche Melodien und frustrierte Befreiungsschläge an. Hierbei spielt stets die fünfköpfige Band auf der Bühne als Teil des Bühnenbilds. Dieses ist ansonsten geprägt von mehreren Ebenen und großer Schlichtheit. Das Highlight sind hierbei die rock'n'roll getreuen Mikrofone, welche zusätzlich mit Lichteffekten bestückt sind. Allgemein ist die Beleuchtung mit das wichtigste Stilmittel des Stücks.

Die Kostüme stellen die originale Mode der 50er Jahre dar. Frauen tragen Petticoats, Lockenwickler-Bobs und stets Röcke, Pumps sowie grundsätzlich bedeckende Blusen. Herren tragen Anzüge oder mindestens Anzughosen und Hemd. Da fallen die Mutter Brause Band und ihr Sänger im Achselshirt sowie Freddy mit seiner Lederjacke besonders auf. Grundsätzlich ist alles sehr geziemt, bedeckt und bieder. Die Farbwahl ist mit hauptsächlich weiß, grau, braun und schwarz alles andere als farbenfroh. Dies unterstreicht die Nachkriegszeit der 1950er in Deutschland.

 

Besonders das Zusammenspiel und die Interaktion der Charaktere sowie der gegensätzliche gemeinsame Gesang in diversen Songtiteln (bestes Beispiel: Was wäre wenn) macht dieses Stück so mitreißend. Ab Mai 2024 wird im TdW die Fortsetzung Ku'damm 59 - Das Musical zu sehen sein, wobei so ein Meisterwerk wie Ku'damm 56 schwerlich zu toppen sein wird. Allerdings haben Peter Plate und Ulf Leo Sommer ihr Können bereits mehrfach bewiesen (unter anderem auch bei dem Stück Romeo & Julia – Liebe ist alles). Doch zunächst kann Ku'damm 56 im Februar 2024 noch einmal an seiner Originalspielstätte, dem TdW, in seiner "heißen Braut" Berlin bewundert werden.

 

Die Cast 

Als – völlig unmögliche - Monika brillierte wie auch in der Originalbesetzung Sandra Leitner. Sie bringt die charakterliche Entwicklung von Monika glaubwürdig und nachvollziehbar auf die Bühne. Schon bei meinem ersten Vergnügen mit dem Stück durfte ich sie in dieser Rolle sehen. Auch ein Jahr später hat sie die Rolle der Monika in jeder Facette, auch durch die nicht immer einfachen Szenen, porträtiert. Die Zuschauer können förmlich die Frustration der Figur greifen.

 

Mutter Caterina Schöllack spielte Katja Uhlig in einer, wie ich finde, Paraderolle. Kaum überraschend somit, dass sie für ihr Solo den größten Zwischenapplaus erhielt. Nicht umsonst hat die Darstellerin 2022 den Deutschen Musical Theater Preis in der Kategorie „Beste Darstellerin“ erhalten. Auch hier wird die Entwicklung der Figur authentisch gespielt und auf der Bühne gelebt. Ihr künstlerisches Können konnte Katja Uhlig auch in dem facettenreichen Song „Rumba“ präsentieren.

 

Helga, gespielt von Katrin Merkl, glaubt zunächst „alles wird gut“ und läuft nach Bilderbuch. Dass ihre Ehe alles andere als perfekt ist, will sie sich zunächst nicht eingestehen, kann sich dieser Tatsache aber letztlich nicht weiter verschließen und ist zur persönlichen Weiterentwicklung gezwungen, um sich in ihrer Situation zu arrangieren. Da eine Scheidung in der damaligen Zeit unvorstellbar ist und Helga wert auf ihr gesellschaftliches Ansehen legt, kann sie sich nur in ihrer neuen Rolle einfinden.

 

Die naive und leicht dümmlich anmutende Eva spielte Isabel Waltsgott. Ihre helle Stimmlage unterstützt viele Songs perfekt. Auch sie war bereits Teil der Originalbesetzung und wirkt in ihrer Rolle authentisch wie aus der Frauenrolle der damaligen Zeit gefallen. Mit ihrer Komik lockerte sie das ernste Stück vielfach auf.

 

Der Haudegen Freddy wurde von Pedro Reichert verkörpert. Ihm fällt es schwer sich an etwas fest zu binden und lebt in den Tag hinein. Sein Geld verdient er als Sänger in der Tanzschule Schöllack, wo er sein „Monekind“ kennenlernt und ihr zeigt, was es außerhalb der geziemten Normen noch so gibt. Pedro Reichert spielt sowohl den lockeren Freddy, als auch den tiefgründigen, unter der Vergasung seiner Familie leidenden, Freddy überzeugend. Insbesondere die Leidenschaft für den Rock'n'Roll zeigt er dem Publikum voller Spaß.

 

Der wohl tiefgründigste Charakter des Stücks, Joachim, wurde von David Nádvornik gespielt. Endlich konnte ich diesen in seiner ausgezeichneten Rolle (Deutscher Musical Theater Preis als bester Darsteller in einer Nebenrolle) sehen. Obwohl ich mir nach meinem ersten Mal nicht vorstellen konnte, dass diese Figur noch authentischer und zorniger gespielt werden kann, hat es David Nádvornik perfektioniert. Der Charakter bietet viele Facetten. Es ist sicherlich die größte Weiterentwicklung des Stücks. Gesanglich sind alle Darsteller 10/10 – einfach kraftvoll und pointiert.

 

Helgas Ehemann Wolfgang spielte Patrik Cieslik. Als Staatsanwalt und guter deutscher Ehemann versucht Wolfgang dominant zu sein, ist letztlich aber eine verletzliche Person mit einem Geheimnis. Er wäre gerne „ein besserer Mensch“. Daher kann er es kaum glauben, dass seine Frau Helga ihn so akzeptiert wie er ist und weiterhin in ihrer Ehe unterstützen möchte.

 

Der kaltherzige Waffenfabrikant und Joachims Vater Otto Franck wurde von Rudi Reschke dargestellt. Er behandelt seinen Sohn mit Eiseskälte, wie er es selbst von seinem Vater erfahren hat. Wozu dies führt, sieht das Publikum an Joachim im 1. Akt des Stücks deutlich. Trotz des Todes seines zweiten Sohnes durch eine Waffe, produziert er weiterhin Waffen, was bei Joachim für völliges Unverständnis und unbändigen Zorn auf den Vater sorgt. Wie die Beziehung der beiden weitergeht, bleibt zu Ende des Stücks offen.

 

Dr. Fassbender spielte Holger Hauer. Der perfekt anmutende Professor versucht Wolfgang von seiner Neigung zu heilen, da dieser sonst seine Vergangenheit als Arzt unter den Nationalsozialisten offenbart. Aufgrund des enormen Altersunterschieds zwischen Eva und Dr. Fassbender und dass sie nach der Hochzeit ihre Stelle als Schwester aufgeben soll, ist das Publikum angesichts heutiger gesellschaftlicher Vorstellungen irritiert.

 

Als Assmann war Jerry Marwig zu sehen. Er ist nicht nur Geschäftspartner von Caterina, sondern auch ihr Geliebter und wie sich herausstellt zudem der Vater von Monika. Caterina möchte ihre Beziehung nicht öffentlich machen, woraufhin Assmann sich final von ihr lossagt und die Tanzschule verlässt.

 

Im Ensemble tanzten und komplettierten Faye Bollheimer, Florentine Beyer, Felix Freund, Timo Stacey und Lars Wandres.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0