Sweeney Todd
Dresden
25.02.2024
Staatsoperette
Autorin: Jenny Wagner
Schaurige Begeisterung - Zwischen Horrormusical und Sozialtragödie
Sweeney Todd erzählt die Geschichte des in London mordenden gleichnamigen Barbiers und seiner Komplizin, Mrs. Lovett. Getrieben wird Sweeney dabei von einem Rachestreben aufgrund ihm in der Vergangenheit zugefügtem Unrechts und dem Verlust geliebter Menschen. Mrs. Lovett hingegen wird motiviert von Geldgier und besitzartigen Gefühlen für den Barbier. Gemeinsam entledigen sie sich vieler einsamer Seelen bis die Ereignisse sich überschlagen und sich heraus stellt, dass etwas nie so ist, wie es scheint.
Die Handlung des Stücks war Stoff für zahlreiche Erzählungen, Bühnenfassungen sowie Filme und Aufführungen. Stephen Sondheim schuf 1979 das Broadway-Musical aus dem gleichnamigen Stück von Christopher Bond.
Nach jahrelangem Exil kehrt Sweeney Todd nach London zurück. Er wurde vor Jahren vom einflussreichen Richter Turpin verurteilt und verbannt, welcher insofern seine Macht missbrauchte, um Sweeneys Frau für sich zu gewinnen. Auf der Heimreise lernt Sweeney den jungen Seeman Anthony Hope kennen. Beide verabschieden sich nach ihrer Rückkehr zunächst voneinander. Entgegen jeglicher Vernunft kehrt Sweeney an den Ort seines ehemaligen Barbershops zurück. Dort erkennt ihn die Inhaberin des darunter liegenden Pastetenladens, Mrs. Lovett, und bietet ihm an wieder einzuziehen. Auf die Nachfrage nach seiner Frau muss er damit antworten, dass sie sich mit Arsen selbst vergiftet habe, um Richter Turpin, der sie verschleppte, zu entfliehen. Mrs. Lovett ermuntert den am Boden zerstörten Sweeney wieder dazu Barbier zu sein und seinem Leben einen Sinn zu geben. Schnell wird klar, dass Mrs. Lovett für Sweeney schwärmt, sie nimmt all seine Absurditäten hin. Selbst als er sein erstes Opfer Starfrisör Pirelli ermordet, weicht sie nicht von seiner Seite, sondern findet eine für beide charmante Lösung. Gemeinsam verarbeiten sie heimlich ihre zufälligen Opfer zu Pasteten und machen in den schwierigen Zeiten Londons damit ein gutes Geschäft. Sweeney träumt davon alle, die an seinem Leid Schuld tragen, in seinem Barbershop zu "bedienen". Allen voran Richter Turpin und sein Gehilfe der Büttel. Doch in einer aufmerksamen Nachbarschaft bleibt nichts auf ewig verborgen.
Anthony Hope hingegen hat sich in London schnell eingefunden und wie der Zufall es so will Sweeneys Tochter Johanna gesehen und sich auf den ersten Blick in sie verliebt. Diese lebt wie ein Vogel im goldenen Käfig und besingt ihren Traum von Freiheit. Zu dieser möchte Anthony ihr unbeding verhelfen und eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Richter Turpin bekommt jedoch Wind von der Liaison der beiden und versucht alles, um Johanna für sich zu behalten. Sein Mündel ist nämlich nunmehr eine attraktive Frau und er möchte sie zu seiner Ehefrau machen. Turpin geht sogar soweit Johanna in einem Sanatorium vor Anthony zu verbergen. Dies tut der Zuneigung der beiden jedoch keinen Abbruch, es schürt aber den Hass auf den skrupellosen Richter. Befeuert wird dies zudem davon, dass Anthony seinen alten Freund Sweeeney um Rat und Hilfe bittet, welcher jedoch nicht offenbart, dass Johanna seine Tochter ist. Er nutzt die Obsession des gutgläubigen Anthonys für seine eigenen Pläne aus.
Ich durfte mir dank der Staatsoperette Dresden und deren Pressereferentin Frau Wiemer am 25.02.2024 das Stück Sweeney Todd anschauen.
Das Musical
Sweeney Todd - The Demon Barber of Fleet Street - Ein Musical-Thriller wurde nach der original Broadway-Produktion an der Staatsoperette Dresden unter der Regie von Martin G. Berger in Szene gesetzt und feierte am 21. Oktober 2023 Premiere. Die musikalische Leitung hat Peter Christian Feigel. Das Bühnenbild stammt von Sarah-Katharina Karl und die Kostüme von Alexander Djurkov Hotter. Für die Dramaturgie ist Judith Wiemers verantwortlich. Am 27. Februr 2024 spielte es zum vorerst letzten Mal.
Besonders das Bühnenbild überrascht damit, dass das Orchester im hinteren Teil der Bühne das ganze Stück über präsent ist. Hier spielt es im vielfach erleuchteten Teil der Bühne inmitten der reichen, in edle goldene Stoffe gehüllte, Figuren. Der vordere Teil der Bühne wird durch Gitter als Vorhang klar separiert und befindet sich zudem über dem eigentlichen Orchestergraben. Aus diesem steigt das ärmliche Lumpenproletariat empor. Ansonsten ist die Bühne durch bewegliche Gitter sehr wandelbar und es kann eine gewisse Trennung von Arm und Reich sowie von Mrs. Lovetts Pastetenladen und Sweeneys Barbershop dargestellt werden. Zwischen beiden klafft symbolisch der "Höllenschlund" und überall ist "Feuer, Feuer". Für diese Darstellung wird zudem vor allem viel mit Lichteffekten gearbeitet. Die Bühne "erhebt" sich sogar zum Ende des Stücks und stellt eine weitere künstlerische Ebene dar. Dies symbolisiert gleichzeitig auch Aufstieg und Erhebung.
Das Stück beinhaltet ein vergleichsweise großes Ensemble, welches vor allem durch seine schiere Menge, als auch gezielter Positionierung auf der (Vorder-) Bühne und um die Hauptcharaktere herum viel Eindruck hinterlässt. Die "Choreographie" des Stücks ist größtenteils die gezielte Anordnung der Figuren auf der Bühne und ihren verschiedenen Ebenen. So befinden sich im hinteren reichen und hellen Teil, stets nur wenige Darsteller. Im vorderen armen und dunkleren Bereich tummelt sich hingegen die Mehrheit. Dank des Einsatzes moderner Technik nimmt eine Videokamera Sequenzen von der Bühne und aus dem Saal direkt live auf und überträgt sie gut sichtbar auf den Gittervorhang. Nur vereinzelt überwinden die Privilegierten die sichere Trennung der Gitter und wagen sich auf den vorderen ärmeren Teil der Bühne.
Musikalisch ist das Stück nahezu opernähnlich durchkomponiert. Grotesk ist auch die überwiegend fröhliche Musik zu ernsten und harten Themen. Zuweilen wird dies sogar bis zur Absurdität geführt. Stephen Sondheim selbst hat sein Stück als "schwarze Operette" bezeichnet. Mit der Musik wird ein steter Spannungsbogen aufgebaut, welcher im Finale des Stücks seinen Höhepunkt erfährt. Sweeney Todd wird sogar in epischer Weise besungen wie ein Held. "Doch je mehr er der Welt um sich herum trotzen will, umso mehr wird er Teil von ihr und verliert sich im System, das er sprengen will" (Zitat aus dem Programmheft der Staatsoperette).
Das Musical Sweeney Todd lebt vom Grotesken, von zeitloser Gesellschaftskritik und von den Darstellenden, die das Stück zum Leben erwecken. Durch die opulente, wohl durchdachte Inszenierung der Staatsoperette Dresden wurde das Publikum unterhaltsam gefesselt, aber zugleich zum Nachdenken angeregt. Man wird förmlich in die Szenerie hinein gezogen und fühlt viele Emotionen komplett mit. Angesichts der thrillerwürdigen Handlung ist die Begeisterung für das Stück eine schaurige.
Die Cast
Als mordender Barbier Sweeney Todd ist Uwe Schenker-Primus zu sehen. Er spielt einen gebrochenen Sweeney, der nach jahrelangem Exil gealtert nach London zurückkehrt. Stück für Stück findet er neben den Ereignissen um sich herum seinen Lebenswillen wieder und wird ein immer getriebenerer, von Rache vollkommen besessener Mann. Diese verschließt ihm oftmals den Blick. Uwe Schenker-Primus stellt anschaulich wie aus dem Bilderbuch dar, was mit einem Menschen passiert, wenn Rache ihr einziger Antrieb ist und wie ihn diese blind macht. Das Publikum fühlt förmlich die Verbitterung Sweeneys und man muss nahezu befürchten, dass der Barbier in seiner zuweilen befremdlichen Ekstase auch vor dem Publikum nicht halt macht. Eine wahrlich ergreifende Darbietung.
Mrs. Lovett wird herrlich unterhaltsam porträtiert von Stefanie Dietrich. Sie ist eindeutig der Witz des Stücks, obwohl die Wandlung der Figur von einer einsamen, nahezu einfältigen Pastetenbäckerin zu einer ausgeklügelten Unternehmerin und Strippenzieherin wohl der größte Sprung des Stücks ist. Hinter all der Fassade wird klar, dass sich Mrs. Lovett lediglich nach Liebe sehnt. Daher nimmt sie nach dem Verschwinden seines Meisters Pirellli auch Toby bei sich auf und stellt diesen in ihrem Geschäft an. Ihr Glück wäre perfekt, wenn doch nur Sweeney von seinen Racheplänen ablassen könnte und sie einfach heiraten würde. Trotz der schrecklichen Taten müssen die Zuschauer Mitgefühl mit dieser Figur haben. Stefanie Dietrich nimmt durch ihre Performance oftmals den ganzen Saal ein. Sicherlich hilft im tristen Grau der Bühne dabei auch ihr komplett pinkes Kostüm als farblicher Magnet, allerdings liegt es doch hauptsächlich an der schauspielerischen Leistung der Darstellerin.
Der liebestolle junge Seeman Anthony Hope wird von Jan-Philipp Rekeszus gespielt. Seine Obsession mit Johanna lässt auch das Publikum eine gewisse Obsession entwickeln und man fragt sich stets, was mit Johanna ist und wie es ihr geht. Natürlich hofft man auf ein Happy End, möchte Anthony aber auch oft die Augen öffnen, mit welchen Charakteren er sich umgibt. Besonders herausragend kann sich Jan-Philipp Rekeszus gegen die tiefe und kraftvolle Darstellung des Sweeney behaupten und auch gesanglich auf ganzer Linie überzeugen. Vor allem Lieder, in denen drei oder mehr Darstellende unterschiedliche Texte, gefühlt als Kampf gegeneinander, singen, zeigen das Können der Akteure und haben vollsten Respekt verdient.
Sweeneys Tochter Johanna Barker spielt Julie Sekinger. Diese kann ihre raumeinnehmende Opernstimme zur Schau stellen und singt dabei wie die Nachtigall, welche ihre
Figur besingt. Obwohl die Darstellerin selbst weniger vordergründig agiert, ist ihre Figur umso präsenter, da sie für die überwiegenden Charaktere der Dreh- und Angelpunkt ihres Handelns
ist.
Eine Schlüsselfigur ist Tobias "Toby" Ragg gespielt von Riccardo Romeo. Zunächst ein naiver und beeinflussbarer Charakter, ist es letztlich Toby, der im Stück für eine entscheidende Wendung sorgt. Auch Toby ist jemand, der hauptsächlich nach Liebe und Anerkennung sucht. Wahrscheinlich schaut er auch genau deshalb lange Zeit nicht genauer hin, was Mrs. Lovett und Sweeney treiben, obwohl er bei ihnen lebt. Die Figur symbolisiert ziemlich eindeutig "Liebe macht blind."
Den schmierigen Richter Turpin spielt Elmar Andree. Dieser stellt typischen Machtmissbrauch aufgrund gesellschaftlich hoher Position zur Schau. Vielerlei Faktoren tragen
dazu bei, dass der Zuschauende geneigt ist, ihm Sweeneys Selbstjustiz zu gönnen. Diese Figur hält dem Zuschauenden den Spiegel vor, zwingt einen gar oftmals sich erschaudernd abzuwenden und die
Augen zu verschließen (hallo Gesellschaftskritik!). Richter Turpin führt die Gerechtigkeit, die sein Amt mit sich bringen soll, ad absurdum.
Turpins Lakaien Büttel Bamford porträtiert Dietrich Seydlitz. Auch wieder eine klischeebehaftete Figur, die ihrem Herren treu ergeben ist. Der Darsteller
porträtiert seine Rolle so galant, dass diese nichts aus der Ruhe bringt und man als Zuschauer diese zum Aufwachen bewegen möchte. Wobei es unklar bleibt, ob Büttel vor den Geschehnissen
um sich herum bewusst die Augen verschließt oder er andere Gründe hat, die ihn bewegen. Er ist ein klassischer "Mitläufer", der seinen eigenen Profit zieht, wo er nur
kann.
Als zwielichtige Bettlerin brilliert Dimitra Kalaitzi, welcher man den Wahnsinn ihrer Figur uneingeschränkt abkauft. Die Bettlerin wirkt wie ein steter Störfaktor, welcher in vielen Szenen immer wieder auftaucht. Am Ende des Stücks wird auch dieses Mysterium gelüftet, die Zuschauer können es aber durchaus früher erahnen, was es mit der Figur auf sich hat. Dimitra Kalaitzi legt viel Ausdruck in ihren Gesang und muss als Bettlerin auch sportlich einiges aufbringen, da sie immer wieder im "Höllenschlund" abtaucht, andere Figuren "anfällt" oder über die Bühne hetzt. Eine grandiose und fesselnde Darbietung. Zumal sich hier auch wieder die Wandelbarkeit der Darstellerin zeigt, da sie an der Staatsoperette unter anderem auch "Die Fledermaus" verkörpert.
Adolfo Pirelli, den Riccardo Simonetti des Stücks, spielt Václav Vallon klischeehaft unterhaltsam. Auch wenn seine Figur das erste Opfer Sweeneys ist, bleibt der Charakter dem Publikum in Erinnerung. Nicht zuletzt, da das Verschwinden Pirellis in Sweeneys Barbershop letztlich das Kartenhaus von Sweeney und Mrs. Lovett in sich zusammenfallen lässt.
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